Ladestecker für EPACs: Infor­mation und Hinter­gründe zu möglicher­weise irreführen­den Äußerungen über zukünftige Anfor­der­ungen

In den vergangenen Monaten kursierten verschiedene Aussagen und Interpretationen über die zukünftigen (rechtlichen) Anforderungen an Ladeanschlüssen für elektrisch unterstützte Fahrräder (EPACs), was zu einiger Verwirrung führte. Der ZIV – Die Fahrradindustrie hat sich intensiv mit dem Thema befasst und möchte mit der folgenden Einschätzung zu einem besseren Verständnis beitragen. Wir stellen im Folgenden unsere Einschätzung der rechtlichen Situation dar. Dabei handelt es sich nicht um eine Rechtsberatung, sondern um eine bestmögliche Interpretation der Rechtslage – so objektiv wie aus unserer Sicht und zu diesem Zeitpunkt möglich.

Zu den aktuellen Gerüchten gehören folgende Aussagen:

«In Zukunft muss ein bestimmter Stecker für das EPAC-Laden verwendet werden. Andere Stecker sind verboten.»

«Die IEC TS 62196-4 und IEC TS 61851-3-1/2/4/5/7 für Elektromechanik und Kommunikation sind zwingend einzuhalten.»

«Herstellerspezifische Lösungen sind nur unter komplizierten Umständen vertretbar und bergen rechtliche Risiken.»

Unsere Einschätzung:
Alle drei Aussagen sind aus unserer Sicht nicht zutreffend und nach gründlicher Analyse der vorliegenden Normen und technischen Spezifikationen nicht haltbar.

Zusammenfassend lässt sich außerdem Folgendes festhalten:
  • Die genannten Normen oder technischen Spezifikationen definieren die generellen Anforderungen im Allgemeinen.
  • Sie sind technologieoffen und legen keine konkrete Umsetzung fest.
  • Aus den Normen und technischen Spezifikationen lassen sich Beispiele möglicher Lösungen ableiten. Sie sind jedoch nicht vollständig und die Hersteller werden auch nicht auf sie beschränkt.
Details zur Erläuterung
Rechtliche Bedeutung von Normen im Allgemeinen

Eine Norm ist eine vereinbarte Art und Weise, etwas auf konsistente und wiederholbare Weise zu tun. Normen legen Mindestanforderungen in Bezug auf Sicherheit, Zuverlässigkeit, Effizienz und Vertrauen fest. Im Gegensatz zu Gesetzen sind Normen im Allgemeinen nicht rechtsverbindlich. Ihre Anwendung ist freiwillig bzw. wird erst dann verbindlich, wenn dies in Gesetzen oder Verträgen festgelegt ist. Sie sind jedoch anerkannte Regeln der Technik und werden häufig herangezogen, um zu entscheiden, ob ein Hersteller seine Sorgfaltspflicht erfüllt hat.

Rechtliche Bedeutung der harmonisierten Normen

Dazu führt die Europäische Kommission folgendes aus:

«Eine harmonisierte Norm ist eine europäische Norm, die von einer anerkannten europäischen Normungsorganisation CEN, CENELEC oder ETSI entwickelt wurde. Sie wird entsprechend eines Normungsantrag der Europäischen Kommission bei einer dieser Organisationen erstellt. Hersteller, andere Wirtschaftsakteure oder Konformitätsbewertungsstellen können harmonisierte Normen verwenden, um nachzuweisen, dass Produkte, Dienstleistungen oder Verfahren mit den einschlägigen EU-Rechtsvorschriften übereinstimmen. Die Verweise auf harmonisierte Normen müssen im Amtsblatt der Europäischen Union (OJEU) veröffentlicht werden.
Die Anwendung dieser Normen bleibt freiwillig. […] Es steht den Herstellern, anderen Wirtschaftsakteuren oder Konformitätsbewertungsstellen frei, eine andere technische Lösung zu wählen, um die Einhaltung der verbindlichen rechtlichen Anforderungen nachzuweisen.» Eine andere sehr detaillierte Analyse der rechtlichen Bedeutung harmonisierter Normen kommt zu dem Schluss, dass «die wesentlichen Anforderungen der Harmonisierungsrechtsvorschriften durch harmonisierte Normen der privaten Normungsorganisationen festgelegt werden, deren Anwendung freiwillig ist».

Trotz ihrer «freiwilligen Natur» halten wir die Einhaltung von Normen für sehr wichtig. Insbesondere die Konformitätsvermutung von harmonisierten Normen in Europa und die Tatsache, dass Normen häufig in Verträgen verwendet werden, zeigen die hohe Bedeutung von Normen. Deshalb beschreiben wir im Folgenden den Zusammenhang und die Anwendbarkeit näher.

Zusammenspiel verschiedener Normen und Auswirkung der Änderung A1 der DIN EN 15194

EPACs fallen in den Anwendungsbereich der Maschinenrichtlinie (2006/42/EG). Im Rahmen dieser Richtlinie ist die Europäische Norm EN 15194 für elektrisch unterstützte Fahrräder (EPACs) als harmonisierte Norm gelistet. Aufgrund eines formellen Einspruchs enthielt die Listung im Amtsblatt der Europäischen Union (OJEU) Beschränkungen bezüglich Batterien und Vibrationen. Mit der Änderung A1 der EN 15194, die im Jahr 2023 veröffentlicht wurde, könnte die Einschränkung für Batterien mit der neuen Listung ab Mai 2024 aufgehoben werden. Für die neue EN 15194:2017+A1:2023 begann die Konformitätsvermutung am 15.05.2024, für EN 15194:2017 (einschließlich Einschränkungen) endet sie am 15.05.2026. Die Übergangsfrist der EN 15194:2017 ohne A1 endet im August 2025. Die EN 15194:2017+A1:2023 definiert Sicherheitsanforderungen für EPAC Batterien, indem sie die Einhaltung der EN 50604-1:2016 und EN 50604-1:2016 /A1:2021 fordert. Dies wird im weiteren Verlauf detaillierter beschrieben.

Festlegungen zum Laden von EPAC Batterien im Zusammenhang mit EN 15194 und EN 50604-1

Die Anforderungen an EPAC Batterien sind in Abschnitt 4.2.3 in der EN 15194 Änderung A1 festgelegt.

In diesem Abschnitt sind, im Gegensatz zur alten Version der EN 15194 aus dem Jahr 2017, keine spezifischen Anforderungen festgelegt. Es wird nun ausschließlich auf die EN 50604-1:2016 und EN 50604-1:2016/A1:2021 verweisen. Zudem ist kein Verweis mehr auf die EN 62133 enthalten.

Inhalt der EN 50604-1

In EN 50604-1:2016/A1:2021 sind in Tabelle 1 die Anforderungen für verschiedene Teilsysteme angegeben.

Für das Batteriemanagementsystem (BMS) hat der Hersteller gemäß EN 50604-1:2016/A1:2021 die Wahl zwischen folgenden Lösungen:
  • Herstellerspezifische Lösung
  • Interoperable Lösung mit CANopen-Kommunikation
  • Interoperable Lösung unter Verwendung einer anderen, ebenso geeigneten Kommunikationslösung
Wenn der Hersteller eine herstellerspezifische Lösung für das BMS verwendet, die die Anforderungen an Steckverbinder und Kompatibilität erfüllt, ist diese konform mit EN 50604-1:2016 + A1:2021.

Falls eine interoperable Lösung für das BMS verwendet wird, gibt es zwei Möglichkeiten:
Wenn die Kommunikation auf CANopen basiert, muss eine Kompatibilitätsprüfung gemäß IEC/TS 61851-3-4 (Abschnitt 8.2.3.4) durchgeführt werden.
Es ist aber auch möglich, eine interoperable Lösung mit einer ebenso geeigneten Kommunikation zu verwenden, die nicht auf CANopen basiert.

Auch für das montierte herausnehmbare Batteriesystem gibt es mehrere Optionen:
  • Herstellerspezifische Lösung
  • Interoperable Lösung unter Verwendung von CANopen
  • Interoperable Lösung unter Verwendung einer anderen Kommunikationslösung (nicht weiter spezifiziert in EN 50604-1:2016/A1:2021)
Für die ersten beiden gibt es Anforderungen in EN 50604-1:2016/A1:2021 festgelegt. Die dritte Option ist in der Norm nicht weiter definiert.

Verbindlichkeit der Reihen IEC TS 61851-3-x und IEC TS 62196-4 

Die Reihen IEC TS 61851-3-x und IEC TS 62196-4 sind internationale Dokumente, aber nicht rechtsverbindlich. Zudem haben sie nicht den Status einer internationalen Norm, sondern nur den einer technischen Spezifikation.

«Eine technische Spezifikation hat normativen Charakter und wird nach dem Konsensverfahren erarbeitet». Sie nähert sich demnach einer internationalen Norm in Bezug auf Detailgenauigkeit und Vollständigkeit an, hat aber noch nicht alle Genehmigungsstufen durchlaufen, entweder weil kein Konsens erreicht wurde oder weil eine Normung als verfrüht angesehen wird.“

Zusammenhänge IEC und EN im Detail

In der EN 50604-1:2016 und EN 50604-1:2016/A1:2021 wird auf die Spezifikationen IEC TS 61851-3-x Reihe und IEC TS 62196-4 verwiesen. In diesem Zusammenhang sind die folgenden Aspekte wichtig:
  • Eine herstellerspezifische Lösung ist konform und sogar als erste Option in EN 50604-1:2016+A1:2021 für das BMS und das montierte abnehmbare Batteriesystem aufgeführt.
  • Die in der Reihe IEC TS 61851-3-x und IEC TS 62196-4 definierten Anforderungen an die interoperable Lösung gelten nur, wenn die interoperable Lösung CANopen genutzt wird.
  • Es ist auch möglich, interoperable Lösungen zu verwenden, die kein CANopen verwenden.
  • Wenn ein Adapter verwendet wird (wie z. B. eine Charge2Bike EPAC-Anschlussbox), hat der EPAC eine herstellerspezifische Lösung und ist nicht von den Anforderungen für interoperable Lösungen mit CANopen betroffen, d. h. IEC TS 61851-3-x gilt nicht.
  • EN 50604-1 ist nicht harmonisiert, nur die EN 15194 ist unter der Maschinenrichtlinie harmonisiert. Die Richtlinie, unter der eine Norm aufgeführt ist, definiert die grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen, für die die Norm die technischen Anforderungen bereitstellt. Für Abschnitt 4.2.3 (der durch A1 geändert wurde) sind dies «Brand», «Explosion», «Emission gefährlicher Materialien und Stoffe» und «Batterien».
    Daher bezieht sich der Verweis von EN 15194:2017+A1:2023 auf EN 50604-1:2016+A1:2021 auf die Batteriesicherheit, nicht aber auf die Ladekommunikation, Adapter oder Ladeinfrastruktur.
  • Es ist immer möglich, eine Norm nicht einzuhalten und trotzdem nachzuweisen, dass das Produkt sicher ist. Daher führt auch die Nichteinhaltung der Normenreihe IEC TS 61851-3-x und IEC TS 62196-4 für eine interoperable Lösung mit CANopen nicht automatisch zu einem nicht konformen Produkt.
Quellen