Der Radverkehr und sein Potenzial für den Klimaschutz in Deutschland

von Pablo Ziller | ZIV-Pressesprecher

Das Erreichen der Klimaziele ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Die deutschen Treibhausgasminderungsziele sind im Bundes-Klimaschutzgesetz festgeschrieben. Die Emissionen sollen demnach bis 2030 um mindestens 65% und bis 2040 um mindestens 88% gegenüber dem Jahr 1990 gesenkt werden [1]. Die Klimapolitik der Bundesrepublik ist eingebettet in Klimaschutzprozesse der EU und der UNO, woraus sich rechtlich bindende Verpflichtungen ergeben. Dieser Artikel beleuchtet die Rolle des Radverkehrs im Kontext der deutschen Klimaziele, analysiert dessen Potenziale und Herausforderungen und skizziert Strategien zur Förderung des Radfahrens.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Fachzeitschrift MobilityAgenda.

Deutschland hat sich im Rahmen des Pariser Klimaabkommens verpflichtet, seine Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren. Langfristig strebt die Bundesregierung eine weitgehende Klimaneutralität bis 2045 an. In Deutschland spielt der Verkehrssektor eine zentrale Rolle, denn er ist einer der Hauptverursacher von Treibhausgasen. Während viele andere Sektoren ihre Emissionen in den letzten Jahrzehnten reduzieren konnten, sanken die Emissionen im Verkehrssektor nicht. Vor diesem Hintergrund gewinnt der Radverkehr zunehmend an Bedeutung, da er nicht nur eine umweltfreundliche und gesunde Alternative zum motorisierten Individualverkehr darstellt, sondern – gerade auf kurzen Strecken – einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion von CO2-Emissionen leisten kann.


Der Radverkehr ist mehr als nur ein Mittel zur Emissionsreduzierung – er ist ein Schlüssel zur nachhaltigen Mobilitätswende.
Pablo Ziller | ZIV-Pressesprecher
Radverkehr als umweltfreundliche Alternative
Das Fahrrad ist ein nahezu emissionsfreies Verkehrsmittel und stellt eine der effektivsten Möglichkeiten dar, die Emissionen im Verkehrssektor zu reduzieren. Die Nutzung des Fahrrads anstelle eines Autos kann im Durchschnitt pro Kilometer etwa 160 Gramm CO2 einsparen. Bei einer durchschnittlichen Fahrstrecke von 5 Kilometern pro Weg kann ein Pendler, der das Fahrrad nutzt, an einem einzigen Arbeitstag etwa 1,6 Kilogramm CO2 vermeiden. Hochgerechnet auf ein Jahr und Millionen von Menschen, die regelmäßig das Fahrrad nutzen, wird das Einsparpotenzial enorm. Wenn man berücksichtigt, dass das Auto in mehr als 40% aller Fälle für Fahrten genutzt wird, die kürzer als 5 Kilometer sind und genau auf diesen Distanzen das Rad ein ideales Alltagsverkehrsmittel darstellt, lässt sich ein deutliches Umstiegspotenzial
erkennen [2].

Darüber hinaus trägt der Radverkehr zur Reduzierung weiterer umweltschädlicher Luftschadstoffe wie Stickoxide und Feinstaub bei, aber auch von Lärmemissionen, die vor allem in städtischen Gebieten nachweislich zu erheblichen Gesundheitsproblemen führen. Der Ausbau des Radverkehrs kann somit auch zur Verbesserung der Luftqualität und durch die Reduktion von Lärm auch der Lebensqualität in Städten beitragen.
Radverkehr und Verkehrsverlagerung
Ein wesentliches Ziel einer klimafreundlichen Verkehrspolitik ist es demnach, den Modal Split zugunsten nachhaltiger Verkehrsmittel zu verändern. Der Modal Split beschreibt die Verteilung der zurückgelegten Wege auf verschiedene Verkehrsmittel. In Deutschland dominiert bei Wegen unter 30 Kilometern nach wie vor das Automobil, während der Anteil des Radverkehrs mit etwa 13% relativ gering ist. Eine Verlagerung von Autofahrten auf das Fahrrad könnte einen erheblichen Beitrag zur Emissionsminderung leisten, zeigt eine vom Fahrradclub ADFC in diesem Jahr in Auftrag gegebene Potenzialanalyse [3].

Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass rund 40 bis 50% der mit dem Auto zurückgelegten Wege kürzer als 5 Kilometer sind – eine Distanz, die problemlos mit dem Fahrrad oder E-Bike bewältigt werden kann [4]. Durch die Förderung des Radverkehrs könnten viele dieser Kurzstrecken vom Auto auf das Fahrrad verlagert werden, was nicht nur den CO2-Ausstoß reduzieren, sondern auch die Verkehrsbelastung in den Städten verringern würde. Als positiver Nebeneffekt würde sich auch die Gesundheit der Menschen verbessern.
Potenziale des Radverkehrs für den Klimaschutz
Das Potenzial des Radverkehrs zur Reduktion von Treibhausgasen ist erheblich. Nach Berechnungen des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) könnte der Treibhausgasausstoß im Nahbereich bis 2035 um stolze 34% oder 19 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente gesenkt werden, wenn sich der Radverkehrsanteil bei Wegen bis 30 Kilometer auf 45% verdreifachen würde. Im Moment liegt er bei 13% [5]. Für andere Länder der europäischen Union ergeben sich ebenfalls große Einsparpotenziale.
Links: Lastenfahrräder bieten neue Möglichkeiten für den Transportsektor auf Wegen unter 10 Kilometern (Bildnachweis: iStock | carstenbrandt). Rechts: Die französische Hauptstadt Paris baut seit Jahren die urbane Infrastruktur um. Dabei setzt sie auch vielfach auf eine Steigerung des Radverkehrs (Bildnachweis: iStock | olrat).
Elektromobilität beim Fahrrad erschließt neue Zielgruppen
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Rolle des Fahrrads im Kontext der Elektromobilität. Elektrisch unterstützte Fahrräder, sogenannte E-Bikes, ermöglichen es, auch längere Strecken mit dem Fahrrad zurückzulegen, was insbesondere im ländlichen Raum oder bei Pendelstrecken von Bedeutung ist. E-Bikes erweitern das Einsatzspektrum des Fahrrads erheblich und können dazu beitragen, den Umstieg vom Auto auf das Fahrrad auch für Menschen attraktiv zu machen, die bisher aufgrund von Distanzen oder topographischen Herausforderungen das Fahrrad nicht genutzt haben. Bei Distanzen zwischen 20 und 40 Kilometern bieten sich zudem sogenannte Speed-Pedelecs an, also Elektrofahrräder, die als Kraftfahrzeuge eingestuft sind und in Deutschland mit einer Geschwindigkeit von bis zu 45 km/h gefahren werden können. Auch sogenannte Lastenfahrräder gewinnen durch die Elektrifizierung immer mehr an Bedeutung, denn sie bieten Transportmöglichkeiten für Lasten von – je nach Modell – einigen Dutzend Kilogramm.
Herausforderungen bei der Steigerung des Radverkehrsanteils
Trotz der offensichtlichen Vorteile gibt es Herausforderungen, die einer breiteren Nutzung des Fahrrads entgegenstehen. Ein zentrales Problem ist die mangelnde Fahrradinfrastruktur. Viele Städte und Gemeinden in Deutschland verfügen über unzureichende oder qualitativ schlechte Radwege, die das Radfahren unsicher und unattraktiv machen. Insbesondere in kleineren Städten und im ländlichen Raum ist die Radinfrastruktur oft lückenhaft oder gar nicht vorhanden.

Ein weiteres Hemmnis ist die generelle Verkehrssicherheit. Viele potenzielle Radfahrer fühlen sich im Straßenverkehr unsicher, insbesondere auf Straßen ohne ausgewiesene Radwege oder in Gebieten mit hohem Verkehrsaufkommen. Die Angst vor Unfällen hält in etwa die Hälfte der Menschen davon ab, das Fahrrad als alltägliches Verkehrsmittel zu nutzen [6].

Zudem spielt das Wetter eine nicht unerhebliche Rolle. Regen, Kälte und Schnee, aber auch zunehmend Hitze im Sommer, können die Benutzung des Fahrrads unattraktiv machen. Während dies durch entsprechende Kleidung teilweise kompensiert werden kann, bleibt das Wetter ein Faktor, der die Fahrradnutzung saisonal stark beeinflussen kann.

Ein weiteres Hemmnis ist die oft unzureichende Integration des Radverkehrs in das öffentliche Verkehrssystem. Insbesondere für Pendler, die längere Strecken zurücklegen müssen, ist die Kombination von Fahrrad und öffentlichem Nahverkehr wichtig. Hier gibt es jedoch häufig Probleme, etwa durch fehlende Fahrradabstellplätze an Bahnhöfen oder unzureichende Mitnahmemöglichkeiten von Fahrrädern in Zügen. Laut Fahrradmonitor 2023 empfinden dies 48% der Befragten als zu umständlich.


Die Förderung des Radverkehrs erfordert einen ganzheitlichen politisch wie gesellschaftlichen Ansatz. Neben der Schaffung einer geeigneten Infrastruktur sind auch konsequent und langfristig umgesetzte politische Maßnahmen, gesellschaftliche Veränderungen und technische Innovationen notwendig.
Pablo Ziller | ZIV-Pressesprecher
Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs
Um den Radverkehr als wesentlichen Baustein zur Erreichung der Klimaziele zu etablieren, sind gezielte Maßnahmen notwendig. Die Bundesregierung hat dies erkannt und im Nationalen Radverkehrsplan 3.0, der im Jahr 2020 vorgestellt wurde, eine Vielzahl von Maßnahmen skizziert, die den Radverkehr fördern sollen. Dazu zählen unter anderem:

  • Ausbau der Radinfrastruktur: Eine zentrale Maßnahme ist der flächendeckende Ausbau von sicheren und gut ausgebauten Radwegen. Dabei sollte der Fokus nicht nur auf städtische Gebiete, sondern auch auf den ländlichen Raum gelegt werden. Besonders wichtig sind hierbei die Schaffung von durchgängigen, sicheren Radwegenetzen sowie der Bau von Radschnellwegen, die längere Distanzen zwischen Städten und Gemeinden überbrücken können.
  • Verbesserung der Verkehrssicherheit: Um die Verkehrssicherheit zu erhöhen, müssen Radwege klar von Fahrbahnen getrennt und gut beleuchtet sein. Zudem sollten gefährliche Kreuzungen und Knotenpunkte so gestaltet werden, dass das Unfallrisiko für Radfahrer minimiert wird. Auch die Sensibilisierung von Autofahrern für die Belange von Radfahrern durch entsprechende Kampagnen kann zur Verbesserung der Sicherheit beitragen.
  • Förderung von E-Bikes und Lastenrädern: Finanzielle Anreize wie Kaufprämien oder steuerliche Vergünstigungen für E-Bikes und Lastenräder können die Verbreitung dieser Fahrradgattung unterstützen. Die Förderung speziell dieser Fahrradkategorien kann wie bereits beschrieben dazu beitragen, das Fahrrad für weitere Nutzergruppen attraktiv zu machen, insbesondere für Pendler, Gewerbetreibende, ältere Menschen oder Personen, die mittlere Strecken zurücklegen müssen oder Lasten transportieren.
  • Integration des Radverkehrs in den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV): Die bessere Integration des Fahrrads in den ÖPNV ist entscheidend, um multimodale Verkehrsangebote zu schaffen. Dazu gehört der Ausbau von Fahrradabstellanlagen an Bahnhöfen, die Schaffung von Bike-and-Ride-Parkplätzen sowie die Möglichkeit, Fahrräder in Zügen und Bussen mitnehmen zu können.
  • Dienstradleasing und betriebliches Mobilitätsmanagement: Betriebliches Mobilitätsmanagement ist ein großer Hebel, um mehr Mitarbeitende für umweltfreundliche Mobilität im Unternehmen zu begeistern. Mitarbeitende werden auch mit Dienstradleasingangeboten zum Umsteigen aufs Fahrrad motiviert. Mittlerweile nutzen viele Unternehmen solche Modelle.
  • Sensibilisierung und Bildung: Kampagnen, die die Vorteile des Radfahrens herausstellen, können helfen, das Bewusstsein für das Fahrrad als klimafreundliches Verkehrsmittel zu schärfen. Bildung und Aufklärung, etwa in Schulen oder durch öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen, können dazu beitragen, eine Fahrradkultur zu etablieren und langfristig zu verankern.
Fahrradparkhaus in Amsterdam: ÖPNV und Radverkehr an wichtigen Verkehrsknotenpunkten verknüpfen (Bildnachweis: iStock | Matthew Johnson).
Der Radverkehr als Teil einer nachhaltigen Mobilitätswende
Der Radverkehr ist mehr als nur ein Mittel zur Emissionsreduzierung – er ist ein Schlüssel zur nachhaltigen Mobilitätswende. Indem er umweltfreundliche, gesundheitsfördernde und kostengünstige Fortbewegung ermöglicht, kann der Radverkehr einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten und gleichzeitig die Lebensqualität in Städten und Gemeinden verbessern.

Ein starker Radverkehr ist zudem ein Symbol für die Transformation der Gesellschaft hin zu einer nachhaltigeren Lebensweise. Er fördert nicht nur den Klimaschutz, sondern trägt auch zur sozialen Gerechtigkeit bei, indem er Mobilität für alle zugänglich macht, unabhängig von Einkommen oder Zugang zu einem Auto.

Die Förderung des Radverkehrs erfordert jedoch einen ganzheitlichen politisch wie gesellschaftlichen Ansatz. Neben der Schaffung einer geeigneten Infrastruktur sind auch konsequent und langfristig umgesetzte politische Maßnahmen, gesellschaftliche Veränderungen und technische Innovationen notwendig. Nur durch ein Zusammenspiel all dieser Faktoren kann der Radverkehr sein volles Potenzial entfalten und einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele in Deutschland leisten. Ein politischer Kulturkampf um den Einsatz von Fahrrädern birgt die große Gefahr eines politischen Frontenkrieges, der die Förderung des Radverkehrs massiv behindern könnte.
Fazit
Der Radverkehr bietet ein enormes Potenzial, die Klimaziele in Deutschland zu erreichen. Durch eine gezielte Förderung des Radverkehrs kann nicht nur der CO2-Ausstoß im Verkehrssektor signifikant reduziert werden, sondern auch die Lebensqualität in Städten und Gemeinden verbessert werden. Trotz der bestehenden Herausforderungen wie mangelnder Infrastruktur und Sicherheitsbedenken gibt es vielfältige Möglichkeiten, das Fahrrad als Verkehrsmittel der Zukunft zu etablieren. Als Industrieverband der Fahrradindustrie arbeiten wir täglich daran, dass das Fahrrad in Deutschland ausreichend politische Würdigung erfährt und unsere heimische Industrie gute und sichere Mobilitätsprodukte auf dem Markt anbietet.

Quellen:

[1] Bundesregierung: Ein Plan fürs Klima. Aufgerufen am 4. September 2024
[2] Umweltbundesamt: umweltfreundlich und klimaschonend. Aufgerufen am 4. September 2024
[3] ADFC: Der Radverkehr und sein Potenzial in Deutschland. Aufgerufen am 4. September 2024
[4] Umweltbundesamt: Fahrrad fahren ist gesund und gut für die Umwelt. Aufgerufen am 4. September 2024
[5] Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI: Potenziale des Radverkehrs für den Klimaschutz und für lebenswerte Städte und Regionen. Aufgerufen am 4. September 2024
[6] Bundesministerium für Digitales und Verkehr: Fahrrad-Monitor 2023. Aufgerufen am 10. Oktober 2024