ZIV-Hintergrund:
Fahrrad «Made in Germany»

29. Januar 2025

Die deutsche Fahrradindustrie vereint exemplarisch Tradition mit Innovation. Einst die erste deutsche Fahrzeugindustrie, ist sie mittlerweile Leitmarkt bei neuen Entwicklungen und wichtiger Produktionsstandort.
Industrie mit Tradition
Die deutsche Fahrzeugindustrie hat ihren Ursprung im Fahrrad. Ihre Wurzeln reichen zurück bis in die 1880er Jahre. Mit den Wanderer-Fahrradwerken entstand bereits um 1885 die erste deutsche Fahrradfabrik. Die Firma produzierte später auch Autos und wurde Teil von Audi. Kurz darauf begann die Firma Opel, die damals noch Nähmaschinen produzierte, in großem Stil Fahrräder zu produzieren. Auch die Brüder Mannesmann wirkten am Fahrradbau durch mit Walzen gehärtete Fahrrad-Kurbeln, vor allem aber mit der Entwicklung des nahtlos gewalzten Rohrs für den Rahmenbau mit. Im Jahr 1896 wurden bereits 200.000 Räder in Deutschland produziert. 1923 führte Opel in der Fahrradproduktion als erstes deutsches Unternehmen überhaupt eine Fließbandfertigung ein und wurde zum größten Fahrradhersteller der Welt. Alle sieben Sekunden lief ein Fahrrad vom Band – die Fließbandfertigung war damals auch Testlauf für den Automobilbereich. Bereits 1935 wurden 2,2 Millionen Fahrräder in Deutschland produziert.

Auch heute ist Deutschland Leitmarkt bei Innovationen und Trends und einer der bedeutendsten Fahrradmärkte und Produktionsstandorte weltweit.
Fahrrad und E-Bike «Made in Germany»
2023 wurden in Deutschland etwa 2,3 Millionen Fahrräder und E-Bikes produziert. Über hundert Unternehmen stellen Fahrräder und E-Bikes in eigenen Fabriken oder beauftragten Werken in Deutschland her. Hoch moderne Fertigungsstätten für Fahrräder und E-Bikes «Made in Germany» finden sich in vielen Teilen des Landes.

Die Produktionsprozesse laufen in den meisten Werken ähnlich ab, optimiert nach den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten oder Spezifikationen der zu produzierenden Modelle. Die Rohrahmen werden in den Werken vieler deutscher Hersteller nach einer Qualitätsüberprüfung durch eine fabrikeigene Pulverbeschichtung und Lackierung lackiert – teilweise individuell nach Kundenwunsch. Auch wenn der Energieaufwand hierfür hoch ist, Qualitätssteuerung und Flexibilität sind entscheidende Vorteile einer eigenen Lackierung. Dekore wie Marken- oder Produktnamen werden von Hand aufgeklebt und anschließend eingebrannt. In anderen Werken werden die Rahmen bereits lackiert und mit Dekoren versehen angeliefert.

Das Einspeichen der Laufräder, also das Verbinden von Felge, Speichen und Nabe, ist ein weiterer Schritt, der mehrheitlich händisch ausgeführt wird, wobei das Zentrieren der Räder mittlerweile hochmoderne Zentriermaschinen übernehmen. An oder in die Rahmen werden zunächst die Brems- und Schaltzüge und ggf. Kabel verlegt. Die fertigen Laufräder sowie die weiteren Komponenten wie Lenker, Kurbeln, Pedale, Schutzbleche, Sättel und ggf. Motoren – vieles davon aus deutscher Produktion – werden nach und nach an den Montageplätzen eingebaut. Nach einer Qualitätsüberprüfung wird das fertige Fahrrad verpackt und an den Handel oder direkt zum Endkunden ausgeliefert.

Die Produktvielfalt der in Deutschland hergestellten Fahrräder reicht von Kinderlaufrädern über Kinderfahrräder, Klappräder mit oder ohne Motor, Kompakträder, Cityräder, Mountainbikes, Renn- und Gravelräder, Spezialräder etc. bis hin zu vielfältigen Modellen von Lastenrädern. Ein Großteil der deutschen Hersteller produziert überwiegend E-Bikes. Das ergibt sich zum einen aus der gestiegenen Nachfrage der vergangenen Jahre, zum anderen  auch aus dem frühzeitigen Aufbau von Expertise und der Entwicklung der entsprechenden Produkte in Deutschland. Ohne die Antidumping- und Ausgleichszölle auf aus China importierte E-Bikes, die seit 2019 gelten, würde es diese Produktionsvielfalt in Deutschland heute so nicht geben.

Fahrräder und E-Bikes «Made in Germany» sind im europäischen Ausland sehr gefragt. Insgesamt wurden 2023 mehr als 1,4 Millionen Fahrzeuge aus Deutschland nach Europa exportiert, wobei auch hier der Anteil der E-Bikes wächst, noch aber hinter dem der Fahrräder liegt. Hauptabnehmer sowohl für Fahrräder als auch für E-Bikes sind die Niederlande, gefolgt von Österreich. Deutschland ist der größte Fahrrad- und E-Bike-Markt in Europa und die deutsche Fahrradindustrie ist für ihre Innovationskraft weltweit angesehen. Was hier an neuen Modellen und Entwicklungen entsteht, findet international Beachtung. Ebenso ist die Marktentwicklung hierzulande oft ein Indikator für das globale Marktgeschehen, was sich auch an der jährlich stattfindenden Weltleitmesse Eurobike zeigt.
Das E-Bike ist das dominierende Elektrofahrzeug auf dem deutschen Markt
Erstmals wurden 2023 mehr E-Bikes als Fahrräder verkauft, und zwar etwa 1,9 Millionen Fahrräder und 2,1 Millionen E-Bikes. In der Produktion der deutschen Hersteller hat das E-Bike das Fahrrad bereits im Jahr 2019 überholt.
Produktion Fahrräder und E-Bikes in Deutschland (in Mio. Stück)

Das E-Bike hat in den vergangenen Jahren maßgeblich zur Umsatzsteigerung der Unternehmen beigetragen. Seit 2018 haben sich die Absätze im Vergleich zu 2023 verdoppelt, seit 2013 sogar verfünffacht. Das E-Bike ist somit Treiber für Absatz, Umsatz und Innovation der deutschen Fahrradindustrie. Insgesamt wurde mit dem Verkauf von Fahrrädern und E-Bikes in Deutschland im Jahr 2023 ein Umsatz von knapp über 7 Milliarden Euro erzielt. Gerade auch bei Lastenrädern, die in den vergangenen Jahren eine stetig steigende Nachfrage erlebt haben, ist der Motor für viele Käufer:innen ausschlaggebend.
Hohe Fertigungstiefe bei Teilen und Zubehör – keineswegs «alles aus Asien»
Entgegen der allgemeinen Annahme wird eine breite Palette hochwertiger Fahrradteile und Zubehör in deutschen Produktionsstätten hergestellt. Speichen, Ketten, Lampen, Helme, Schutzbleche, Gepäckträger, Klingeln, Schlösser: Für fast alle Teile eines Fahrrades findet sich in Deutschland ein herstellendes Unternehmen. Dabei ist die Fertigungstiefe sehr hoch, vom Kunststoffgranulat für das Gehäuse bis zur fertigen Fahrradlampe findet mancherorts alles in einem Werk statt. Einige Unternehmen leisten sich eine eigene Galvanik, zum Beispiel für Lenker, Sattelstützen oder Lampengehäuse. Neugründungen aus dem Automotive-Bereich bauen in Deutschland innovative Nabenschaltungen, neue Antriebs- und Schaltsysteme werden hierzulande entwickelt und hergestellt. Dabei gibt es einige Hidden Champions sowie Produzenten von weltmarktführenden Produkten. So stammen die mit Abstand hochwertigsten Nabendynamos aus deutscher Entwicklung und Produktion.

Die Produktion von Fahrradrahmen im großen Stil findet derzeit mehrheitlich außerhalb Deutschlands statt. Ausnahmen sind Kleinstserien oder Spezialanfertigungen. Aluminiumrahmen werden hauptsächlich aus China importiert. Fahrradrahmen aus Carbon kommen überwiegend aus Taiwan, da sich hier über Jahrzehnte hinweg eine große Expertise entwickelt hat. Mittlerweile hat sich auch in Portugal eine Fahrradrahmen- (und Teile-) Produktion etabliert, die schon einige deutsche Hersteller beliefert. Auch wenn die Batteriezellenproduktion für E-Bike-Batterien zum allergrößten Teil in China stattfindet und auch viele komplette Batteriepacks aus Asien importiert werden, gibt es in Europa und auch in Deutschland eine Produktion von Batteriepacks für E-Bikes. Antriebe für E-Bikes werden von einer wachsenden Zahl deutscher Hersteller (oft mit Wurzeln aus dem Automobilbereich) in Deutschland entwickelt und häufig auch hierzulande hergestellt – bisweilen mit einer sehr hohen Fertigungstiefe.
Das Fahrrad – Wirtschaftsfaktor über die Produktion hinaus
Neben der Produktion von Fahrzeugen, Komponenten und Zubehör tragen weitere Produkte und Dienstleistungen rund ums Fahrrad zur Wertschöpfung in Deutschland bei. Dieses wirtschaftliche Potenzial des Fahrrades wird von einigen Bundesländern bereits erkannt und näher untersucht. So haben Nordrhein-Westfalen[1] und Rheinland-Pfalz[2] im Jahr 2024 eigene Studien veröffentlicht.

Der Fachhandel sowie meist daran angeschlossene Werkstätten sind wichtige Pfeiler des deutschen Einzelhandels und auch im ländlichen Raum flächendeckend präsent. Dass auch der Fahrradtourismus ein bedeutender Wirtschaftsfaktor ist, ist in vielen Regionen bereits angekommen, auch wenn das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft ist.[3] Übernachtungen, Fahrradverleih, touristische Angebote bieten hier Beschäftigungs- und Umsatzpotentiale.

Das Dienstradleasing hat in den vergangenen Jahren maßgeblich zum Wachstum der Fahrradbranche beigetragen, so haben sich die Umsätze der Leasinganbieter seit 2019 fast verfünffacht.[4] Sharing, Softwarelösungen sowie Radlogistik sind weitere Dienstleistungen die in Deutschland Fahrrad-bezogene Umsätze realisieren.
Produktionsstandort mit Zukunft
Die deutsche Fahrradindustrie ist geprägt von mittelständischen Unternehmen, darunter viele seit langem in Familienbesitz. Sie sind verwurzelt in ihren Regionen und bieten abseits großer Ballungszentren Arbeitsplätze und Wertschöpfung. Die lange Tradition der Fahrradindustrie in Deutschland sowie die Zukunftsfähigkeit des Produktes Fahrrad bieten bei passenden Rahmenbedingungen beste Voraussetzungen, dass Deutschland auch künftig Leitmarkt der Branche bleibt.



Fußnoten
[1] Kompetenznetzwerk Umweltwirtschaft.NRW (2024): MIT RÜCKENWIND – Branchenbericht zur Fahrradwirtschaft in NRW. Im Auftrag des Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (MUNV). Düsseldorf.

[2] Rudolph F.; Butzin A.; Terstriep J. (2024): Wirtschaftsfaktor Radfahren in RLP. Bedeutung und Zukunftsperspektiven. Im Auftrag des Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau Rheinland-Pfalz. Mainz.

[3] Vgl. hierzu: ADFC-Radreiseanalyse 2024 oder SINUS-Institut: Fahrrad-Monitor 2023.

[4] Deloitte und Zukunft Fahrrad (2024): Der deutsche Dienstradleasing-Markt.

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Erstellung des Dokuments | 29.01.25