ZIV-Hintergrund:
Alleinunfälle beim Radfahren

11. Dezember 2024

Rund 63 Millionen Menschen fahren in Deutschland Fahrrad, 55 Millionen davon regelmäßig. Jeden Tag legen Radfahrende dabei 112 Mio. Kilometer zurück.[1]
Breit, von Kraftfahrzeugen getrennt, ebene Oberfläche und gut gepflegt: So wird Kollisionen und Alleinunfällen vorgebeugt. In Verbindung mit angepasster Fahrweise ein sehr sicherer Verkehrsweg.

Unfälle im Straßenverkehr und Ursachen bei Radfahrenden
2023 gab es im deutschen Straßenverkehr insgesamt etwa 2,5 Millionen Unfälle. Dabei wurden laut der amtlichen Statistik 360.000 Menschen verletzt und 2.900 Menschen getötet.[2] Die Daten für 2023 weisen darunter 195 getötete Radfahrende und 150 getötete Pedelec-Fahrende aus. Hinzu kommen auf dem Fahrrad 6.489 Schwerverletzte und 38.656 Leichtverletzte, auf dem Pedelec 2.668 Schwerverletzte und 10.898 Leichtverletzte.[3] Der Bestand an Fahrrädern liegt laut ZIV – Die Fahrradindustrie im Jahr 2023 bei 73 Millionen, der Bestand an Pedelecs bei 11 Millionen Fahrzeugen.

Bei Verkehrsunfällen wird unterschieden zwischen Kollisionen zwischen mindestens zwei Verkehrsteilnehmenden und sogenannten Alleinunfällen, bei denen ein Verkehrsteilnehmer ohne Einwirkung eines weiteren verunfallt, also etwa, wenn ein PKW gegen einen Brückenpfeiler prallt.
UDV-Studie 12/2024
Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), eine der führenden Institutionen in der deutschen Unfallforschung, hat im Dezember 2024 Ergebnisse vertiefter Betrachtungen[4] zu sog. Alleinunfällen von Radfahren in den vergangenen Jahren vorgelegt. Die UDV beschreibt darin eine drastische Zunahme der Alleinunfälle: «Rad-Alleinunfälle haben sich in den letzten 15 Jahren mehr als verdoppelt, dabei ist die Dunkelziffer hoch», so Zeidler. «Bei knapp 27.400 Radunfällen ohne weitere Beteiligte verletzten sich rund 6.400 [Radfahrende] schwer und 147 tödlich.» Der UDV zufolge seien Alleinunfälle «mittlerweile verantwortlich für 29 Prozent der Radverkehrsunfälle mit Personenschaden, 33 Prozent der getöteten und 44 Prozent der schwer verletzten Radfahrenden.» Alleinunfälle werden in der öffentlichen Wahrnehmung häufig mit Senioren in Verbindung gebracht. «Radfahren ist immer populärer, zunehmend auch bei Älteren: ‹War damals noch jeder siebte allein Verunfallte älter als 66 Jahre, ist es inzwischen jeder fünfte.› Senioren reagieren langsamer, verlieren schneller das Gleichgewicht und sind verletzlicher als Jüngere», beobachtet die UDV.

Aber die zunehmende Verkehrsbeteiligung von Senioren ist keineswegs der einzige Grund für die erhöhten Zahlen der gemeldeten Alleinunfälle. Für die Suche nach den Gründen klopft die UDV die in der Unfallforschung üblichen Faktoren Infrastruktur, Mensch, Fahrzeug ab:

(1) Faktor Infrastruktur

Für die Unfälle ohne Kollision sehen die Verunfallten nach einer ergänzenden Umfrage der UDV die schlechten Wegeverhältnisse als Hauptursache, die ebenfalls befragte Polizei sieht das immerhin bei jedem dritten Unfall als Hauptursache. «Vor allem Bordsteinkanten und Straßenbahnschienen machen es Radfahrenden schwer. (…) Laut der Verunfallten passieren die meisten Stürze zwischen Dezember und Februar. Nässe, Eis, Schnee und Laub sind besonders gefährlich.»

(2) Faktor Mensch

Schlechte Infrastruktur und schlechter Pflegezustand machen es viel dringender für Radfahrende, sich den Verhältnissen angepasst zu verhalten. Das passiert nicht immer: «Fast zwei Drittel der betroffenen Radfahrenden räumt ein, dass auch ihre Fahrweise zum Unfall führte. Laut Polizei fuhr knapp jeder dritte Alleinverunfallte für die jeweilige Situation zu schnell. Auch starkes Bremsen und Unaufmerksamkeit sind wesentliche Unfallursachen.» Und so kommt die Leiterin der Studie zu dem Schluss: «Sichere Radwege und vorausschauendes Fahren vermeiden Unfälle», sagt UDV-Leiterin Kirstin Zeidler.

(3) Faktor Fahrzeug

«Mängel am Fahrrad sind nur von geringer Bedeutung für das Alleinunfallgeschehen. Lediglich in 3,1 Prozent der 7.767 polizeilich erfassten Alleinunfälle trugen Mängel an Bremsen, Bereifung oder anderen Komponenten zur Unfallentstehung bei. Die Hergangsbeschreibungen der Polizei dokumentieren Mängel ähnlich selten (3,6 Prozent der 1.481 Hergänge) und auch die Radfahrenden gaben nur im Zusammenhang mit 4,4 Prozent der 1.521 erlebten Unfälle ein mangelbehaftetes Rad an.»
Fazit des ZIV: bessere Radwege, bessere Pflege, bessere Forschung notwendig
Die Bedingungen für Radfahrende sind alles andere als ideal: Radfahrende sind durch schlechte Infrastruktur gefährdet, werden an Wurzelaufbrüchen, Bordsteinkanten und Straßenbahnschienen zu Fall gebracht. Da sind die Kommunen in der Pflicht, vernünftig zu planen, zu bauen und vor allem die Strecken zu pflegen.

Auch unter idealen Bedingungen müssen alle Verkehrsteilnehmenden situationsangepasst fahren. Radfahrende müssen sich durch angepasste Fahrweise schützen.

Wir brauchen bessere Daten. Die UDV hat in ihrer Studie 2024 nur Daten aus 5 Bundesländern verwendet, die unzureichenden Unfallerhebungen durch die Polizei werden durch Umfragen von Betroffenen ergänzt, deren Beschränkungen («BIAS») nicht ausreichend hinterfragt werden. Überraschend ist auch, dass die UDV, immerhin eine Institution des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft, die Frage der sprunghaft gestiegenen Versicherungen für geleaste Räder nicht in Betracht zieht: Etwa 1 Million geleaste Räder, in der Regel hochpreisig, sind im deutschen Verkehr unterwegs. Deren Versicherungsquote liegt bei 100%, gegenüber keinerlei derartigen Versicherungen in der Vergangenheit. Der Verdacht liegt nahe, dass viel mehr Alleinunfälle gemeldet werden, um den Versicherungsschutz für das beschädigte Rad nicht zu verlieren. Dann wäre die Zahl der Alleinunfälle weiterhin viel zu hoch – aber der sprunghafte Anstieg zu Beginn der 2020er Jahre ließe sich besser erklären. Für das in der Vergangenheit und Zukunft wichtige Thema ist dringend eine bessere Untersuchung und Methodik notwendig.



Fußnoten
[1] MiD 2017, https://www.mobilitaet-in-deutschland.de/

[2] 2019, im letzten Jahr vor den Corona-Einschränkungen, waren es etwa 380.000 Verletzte und 3.000 Getötete.

[3] Statistisches Bundesamt (Destatis), 2024 | Stand: 03.12.2024

[4] «Für die Studie untersuchte die UDV unter anderem rund 8.000 Rad-Alleinunfälle in fünf Bundesländern, Unfallhergänge von knapp 1.500 Alleinunfällen, befragte online mehr als 1.500 betroffene Radfahrende, analysierte Örtlichkeiten, zog Infrastrukturplanende, Polizei und Mediziner hinzu.»

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Versionshistorie
Erstellung des Dokuments | 11.12.2024