ZIV-Position:
Radfahren als Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention

30. Januar 2025

Seit Jahren weisen Gesundheitsexpert:innen in Deutschland auf den wachsenden Bewegungsmangel in der Gesellschaft und seine Folgen hin. Sowohl der Bewegungsmangel als auch die Entwicklung zu immer mehr übergewichtigen Menschen in der Bevölkerung hat deutlich zugenommen und die Problematik verschärft sich immer weiter. Die Lebenserwartung wird dadurch abgesenkt, die Länder haben eine ständig steigende Krankheitslast und müssen für die Zukunft mit der finanziellen Überforderung der Sozialversicherungssysteme rechnen.
Bewegungsmangel in der Gesellschaft
Alarmierend sind die Fakten auch in Deutschland. Hierzulande seien die Zahlen dramatisch, so die Weltgesundheitsorganisation WHO in ihrem «Global Status Report on Physical Activity 2022». Deutschland schneidet demnach noch schlechter ab als der Durchschnitt der reichen Länder: 44 Prozent der Frauen und 40 Prozent der Männer über 18 Jahren müssten sich mehr bewegen. Dramatisch sei die Situation in Deutschland bei den 11- bis 17-Jährigen: 88 Prozent der Mädchen und 80 Prozent der Jungen bewegen sich zu wenig. Bei der jungen Generation muss mit schweren gesundheitlichen Folgewirkungen und einer verkürzten Lebensspanne gerechnet werden, wenn nicht aktiv gegengesteuert wird, was die WHO auch fordert. Die Corona-Pandemie habe den Bewegungsmangel weiter beschleunigt, so die WHO. Sie fordert ihre Mitgliedsstaaten auf, mehr für die Bewegungsförderung zu tun – und führt dann mehr Radfahren und Zufußgehen im Alltag an, denn die gesellschaftlichen und Ausfallzeiten seien verheerend.
Überlastete Gesundheitssysteme
Und die Krankheitskosten, die auf mangelnde körperliche Aktivität zurückzuführen sind, haben wirtschaftliche Folgen sowohl für das Gesundheitssystem als auch für unsere Gesellschaft. Laut einer Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf haben Personen mit «unzulänglichem Maß an Bewegung» durchschnittlich circa 188 Euro höhere direkte (eigene) [1] Gesundheitskosten als Aktivere. Zusätzlich entstünden 482 Euro indirekte Mehrkosten pro Jahr durch Krankentage oder gesundheitsbedingter Frühverrentung. Das Centre for Economics and Business Research vermutet, dass im Jahr 2030 europaweit jährliche Kosten von über 125 Mrd. € anfallen könnten.

Maßnahmen, die nur ein Fünftel der derzeit nicht aktiven Europäer:innen auf das empfohlene Niveau regelmäßiger Aktivitäten brächten, würden bereits aktuell eine Einsparung von bis zu 16 Mrd. € bewirken – und etwa 100.000 mit Inaktivität assoziierte Todesfälle EU-weit könnten pro Jahr vermieden werden. Das Einsparungspotential für Deutschland wird mit ca. 2,9 Mrd. € angegeben. Auch nach Schätzungen aus einem Bericht von WHO und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wird Deutschland im Zeitraum 2022–2050 pro Jahr zusätzlich 2,1 Mrd. € für die Behandlung von durch Bewegungsmangel bedingten Krankheiten ausgeben.
Die Empfehlung der WHO
Die WHO empfiehlt fünfmal in der Woche 30 Minuten moderate bis anstrengende Bewegung für Erwachsene, um dem Bewegungsmangel entgegenzuwirken. Für Kinder und Jugendliche (5 bis 17 Jahre) setzt die WHO ein Aktivitätsziel von mindestens 60 Minuten am Tag. Die im Sitzen verbrachte Zeit ist der WHO zufolge eines der größten gesundheitlichen Risiken und sollte durch ausreichend Aktivität ausgeglichen werden.
Bewegung im Alltag: Radfahren für die Gesundheit
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind eindeutig: ca. 80 Prozent aller Krankheiten entstehen durch Bewegungsmangel und Fehlernährung oder werden dadurch begünstigt darunter Herzkreislauf- und Atemwegserkrankungen, Diabetes, Krebs, Demenz, psychische Erkrankungen, Infekte und chronische Entzündungen. Unser Stoffwechsel, unser Herz-Kreislauf-System, unser Gehirn und vieles mehr benötigen Bewegung, um richtig und gut zu funktionieren. Radfahren im Alltag und in der Freizeit ist dabei die ideale Transport-, Sport- und Freizeitbewegung, um die Gesundheit zu fördern. Untersuchungen zeigen beispielweise eine mehr als 70 Prozent verminderte Krebssterblichkeit, ein 88 Prozent vermindertes Demenz-Risiko sowie eine bis zu 20 Jahre längere Lebensdauer.

Radfahren stärkt unter anderem das Herz-Kreislauf-System, aktiviert den Gelenkstoffwechsel und schont gleichzeitig die Gelenke. Gerade auch für Übergewichtige ist das Fahrradfahren daher eine ideale Bewegungsart. Denn das größte Gewicht des Körpers lastet auf dem Sattel, sodass die Gelenke, Sehnen und Bänder beim Radfahren weniger belastet werden. Radsport und Fitness haben aktuell den höchsten Beitrag auf die Ausdaueraktivität der Bevölkerung. Bemerkenswert: Mit Laufen bzw. Joggen (9 %) und Wandern (7 %) sowie dem Radsport sind damit auf den ersten vier Plätzen drei Outdoorsportarten vertreten, die dementsprechend niedrigschwellig jederzeit ausgeübt werden können.
Radfahren zur Verbesserung motorischer Fähigkeiten
Eng mit dem Bewegungsmangel verbunden sind starke Defizite bei der Entwicklung der motorischen Fähigkeiten, die zu sichtbaren koordinatorischen Defiziten führen. Alarmierend sind hier beispielsweise die rasant gestiegenen Durchfallquoten von Kindern bei Fahrradprüfungen, die im vierten Schuljahr erfolgen. In vielen Städten hat sich die Durchfallquoten in den letzten Jahren mehr als verdoppelt. In Hamburg fallen mittlerweile 28 Prozent der Kinder durch, in Bremen sind es an einigen Schulen sogar bis zu 40 Prozent. Als Hauptursache gelten dabei motorische Defizite.

Ideale Voraussetzungen, um die motorischen Fähigkeiten zu schulen und das Radfahren sicher und nachhaltig zu erlernen, bieten geschützte Räume und Wege abseits der Straße und hier insbesondere auch Waldgebiete mit unterschiedlichen Untergründen, Hindernissen und Steigungen. Spielerisch entdecken Kinder und generell Menschen jeder Altersgruppe hier sowohl den Spaß an der Bewegung in der Natur als auch die sichere Beherrschung des Fahrrads in allen Lagen. Bewegungssicherheit und Wahrnehmungsfähigkeiten sind darüber hinaus wichtige Grundlagen für eine sichere Teilnahme am Straßenverkehr, sowohl mit dem Fahrrad als auch zu Fuß. Werden Kinder vor motorische Herausforderungen gestellt, fördert dies außerdem die Verknüpfungen im Gehirn. So hat die Hirnforschung herausgefunden, dass aktive Kinder, die beispielsweise viel Radfahren, auch bessere Leistungen in der Schule zeigen: Fahrradfahren macht schlau!
Radfahren für die mentale Gesundheit
Nicht zu vergessen sind auch die Auswirkungen von ausreichender Bewegung auf die mentale Gesundheit. Bewegung, wie das Radfahren, macht uns körperlich und auch psychisch stark. Glückshormone werden freigesetzt, das Gehirn wird besser durchblutet und leistungsfähiger. Dazu werden verschiedene Botenstoffe ausgeschüttet, die sich unter anderem positiv auf die Steuerung des Schlaf-Wach-Rhythmus und Emotionen auswirken. Gleichzeitig werden Stresshormone wie Kortisol und Adrenalin abgebaut. Studien zeigen, dass regelmäßige körperliche Aktivität Depressionen, Angststörungen und sogar Demenzerkrankungen entgegenwirkt sowie das Selbstwertgefühl, das Selbstbewusstsein und die Selbstwirksamkeit verbessert.

Studien belegen, dass sich auch hier 30 Minuten Radfahren positiv auf die mentale Gesundheit der Studienteilnehmer:innen auswirkt. Als Ursache wird die verstärkte Ausschüttung sogenannter Glückshormone wie Endorphine und Adrenalin aufgrund der gleichmäßigen, zyklischen Bewegung des Radfahrens gesehen und die damit entspannte Wirkung. Bereits nach einer kurzen Fahrt mit dem Fahrrad verstärkt sich das positive Körpergefühl und der Radfahrerende empfindet emotionale Harmonie.

Dazu passt, dass eine neue Studie der Universität Edinburgh herausgefunden hat, dass das tägliche Pendeln mit dem Fahrrad nicht nur den Stresspegel senkt, sondern damit auch die allgemeine Lebensqualität verbessert. Die Studie, die fast 400.000 Menschen über einen Zeitraum von fünf Jahren begleitete, liefert eindrucksvolle Erkenntnisse über die positiven Auswirkungen des Radfahrens auf die psychische Gesundheit und eindeutige Ergebnisse: Menschen, die regelmäßig mit dem Fahrrad zur Arbeit fuhren, hatten deutlich weniger psychische Probleme als ihre autofahrenden oder zu Fuß gehenden Kolleg:innen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihnen Antidepressiva verschrieben wurden, sank um 15 Prozent. Die positiven Effekte waren bei Frauen sogar noch ausgeprägter waren, was darauf hindeutet, dass Frauen möglicherweise stärker von den stressreduzierenden und stimmungsaufhellenden Effekten des Radfahrens profitieren.
Mobilitätsförderung an Kitas und Schulen
Aus gesundheitlichen, bildungs- verkehrs- und umweltpolitischen Aspekten ist die Mobilitätsbildung und -förderung bereits an Kitas und Grundschulen ein wichtiger Aspekt, dem zunehmend Beachtung geschenkt werden muss. Neben der Bewegungsförderung von Kindern und Jugendlichen durch das Fahrrad, schult dieses gleichzeitig die soziale Kompetenz und stärkt den sozialen Zusammenhalt. Dabei unterstützen Verkehrserziehung, Rad-AGs, Aktionstage und Fahrrad als Schulsport. Durch Spaß an der Bewegung und die Beherrschung motorischer Fähigkeiten lernen bereits Kinder und Jugendliche das Fahrrad auch als Alltagsverkehrsmittel zu schätzen. Dies kann so bereits im frühen Kindesalter einen Einfluss auf die Wahl des Verkehrsmittels im Alltag auch für die Zukunft haben.

Durch Mobilitätsbildung in den Schulen und Kindertagesstätten, in der das Fahrrad eine zentrale Rolle spielt, lernen Kinder und Jugendliche außerdem, wie bewusste Entscheidungen für ein Verkehrsmittel getroffen werden und verankern die nachhaltige Mobilität und das Fahrrad langfristig in unserer Gesellschaft. Radschulwegepläne und Abstellmöglichkeiten ermöglichen es den Kindern die erlernte Mobilitätsbildung und -förderung auch auf dem Weg zur Schule umzusetzen. So erlernen Kinder und Jugendliche Selbstständigkeit im Straßenverkehr. Das macht Kinder und Jugendliche nicht nur mobil und eigenständig, sondern unterstützt auch eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung. Gleichzeitig wird die Verkehrssicherheit – gerade vor Schulen gesteigert, da Kinder und Jugendliche allein zur Schule gelangen und somit Elterntaxis minimiert werden können.

Das Fahrrad fördert Inklusion und Teilhabe an Schulen, es ist kostengünstig und ermöglicht neben einen gemeinsamen Schulweg auch die Interaktion mit Anderen. So fördert Sport und Bewegung mit dem Fahrrad außerdem die soziale Kompetenz und steuert dem immer weiter steigenden Medienkonsum und der damit einhergehenden Einsamkeit von Kindern und Jugendlichen entgegen. Die Qualifizierung von Lehrkräften zur Bewegungsförderung, Mobilitätsbildung und -förderung sollte flächendeckend angegangen werden und die Themen in den Lehrplänen prioritär verankert werden.
Sportförderung Fahrrad
Das Fahrrad hat viele Facetten: es ist das ideale Alltagsverkehrsmittel, ein beliebter Begleiter im Urlaub und zur Naherholung und ist bei vielen als Rennrad, Gravel- oder Mountainbike ein weit verbreitetes Sportgerät, welches sich gut in den Alltag integrieren lässt und somit jederzeit niedrigschwellig zugänglich ist. Auch der Klimawandel und der ausbleibende Schnee in den Gebirgen geben dem Fahrrad, insbesondere dem MTB als sportliche Betätigung in der Freizeit Auftrieb. Durch Sportveranstaltungen wird für das Fahrrad und für den Sport begeistert. Sportvereine dienen dabei nicht nur dem sozialen Zusammenhalt, sondern werben auch für den respektvollen Umgang miteinander und der Umgebung, in der man den Sport ausübt. So setzen sich beispielsweise Mountainbike-Sportvereine für ein gutes Miteinander ein und sensibilisieren ihre Vereinsmitglieder mit Aktionen und Kampagnen für einen nachhaltigen Umgang mit der Natur. Diese Strukturen gilt es zu erhalten und zu fördern. Eine Förderung des Natursports dient außerdem der Naherholung der Bevölkerung und ist ein an Bedeutung gewinnender Standortfaktor für Kommunen und Landkreise. Regierungen müssen dafür sorgen, dass es überall und für alle gute Möglichkeiten für Sport und Bewegung gibt. Dazu gehören gut ausgebaute Rad- und Wanderwege, Parks, Sport- und Freizeitangebote.
Position des ZIV
Bewegungsmangel und Defizite bei der Entwicklung von motorischen Fähigkeiten sind in der Bevölkerung allgegenwärtig. Fahrrad und E-Bike sind das ideale Transport- und Freizeitgerät, um die Gesundheit zu stärken. Sie sollen sowohl bei der Bekämpfung des Bewegungsmangels, der Krankheitsprävention als auch in der Sportförderung eine zentrale Rolle spielen. Zukünftige Regierungen müssen dafür sorgen, dass es überall und für alle gute Möglichkeiten für Sport und Bewegung gibt und ressortübergreifend zum Thema Gesundheitsförderung zusammenarbeiten. Dazu gehören gut ausgebaute Rad- und Wanderwege, Parks, Sport- und Freizeitangebote im Alltag und in der Freizeit. Aus gesundheitlichen, sowie bildungs- verkehrs- und umweltpolitischen Aspekten sollte auch die Mobilitätsbildung und -förderung bereits an Kitas und Grundschulen und die Qualifizierung von Lehrkräften zur Bewegungsförderung, Mobilitätsbildung und -förderung flächendeckend angegangen werden und die Themen in den Lehrplänen prioritär verankert werden, denn nur jedes 10. Mädchen und jeder 5. Junge bewegt sich in Deutschland ausreichend.



Quellen
Fußnoten
[1] Direkte Kosten sind Zahlungen, die die jeweilige Person selbst erbringen muss, etwa beim Medikamentenkauf.

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Versionshistorie
Erstellung des Dokuments | 30.01.25