Fak­ten & Hin­ter­gründe zum Rad­fah­ren in der Na­tur

Be­we­gungs- und Ko­ordi­nations­man­gel: ein enor­mes und weiter zuneh­mendes Pro­blem
Seit Jahren weisen Gesundheitsexpert:innen auf den wachsenden Bewegungsmangel in der Gesellschaft und seine Folgen hin. Alarmierend sind die Fakten vor allem in den reichen Industrienationen – auch in Deutschland. Hier seien die Zahlen dramatisch, so die Weltgesundheitsorganisation WHO in ihrem «Global Status Report on Physical Activity 2022“. Deutschland schneidet demnach noch schlechter ab als der Durchschnitt der reichen Länder: 44 Prozent der Frauen und 40 Prozent der Männer über 18 Jahren müssten sich mehr bewegen. Dramatisch sei die Situation in Deutschland bei den 11- bis 17-Jährigen: 88 Prozent der Mädchen und 80 Prozent der Jungen bewegen sich zu wenig. Die Corona-Pandemie habe den Trend zur Bewegungsfaulheit weiter beschleunigt, so die WHO. Sie fordert ihre Mitgliedsstaaten auf, mehr zur Bewegungsförderung zu tun – zum Beispiel durch mehr Radfahren und Zufußgehen, denn die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen unter anderem durch Krankheitskosten und Ausfallzeiten seien verheerend. Für Kinder und Jugendliche ist laut Gesundheitsexpert:innen zudem vor allem die Vorbildfunktion der Eltern wichtig. Insbesondere Kinder übernehmen Verhaltensmuster und Nutzungsweisen. Einen aktiven Lebensstil lernen sie zuerst in der Familie. Das bestätigen verschiedene Studien.

Eng mit dem Bewegungsmangel verbunden sind auch starke Defizite bei der Entwicklung der motorischen Fähigkeiten, die zu sichtbaren koordinatorischen Defiziten führen. Alarmierend sind hier beispielsweise die rasant gestiegenen Durchfallquoten von Kindern bei Fahrradprüfungen, die im vierten Schuljahr erfolgen. In vielen Städten hat sich die Durchfallquoten in den letzten Jahren mehr als verdoppelt. In Hamburg fallen mittlerweile 28 Prozent der Kinder durch, in Bremen sind es an einigen Schulen sogar bis zu 40 Prozent. Als Hauptursache gelten dabei motorische Defizite. Ideale Voraussetzungen, um die motorischen Fähigkeiten zu schulen und das Radfahren sicher und nachhaltig zu erlernen, bieten geschützte Räume und Wege abseits der Straße und hier insbesondere Waldgebiete mit unterschiedlichen Untergründen, Hindernissen, Steigungen etc. Spielerisch entdecken Kinder und generell Menschen jeder Altersgruppe hier sowohl den Spaß an der Bewegung in der Natur als auch die sichere Beherrschung des Fahrrads in allen Lagen.

Nicht zu vergessen sind auch die Auswirkungen von ausreichender Bewegung auf die mentale Gesundheit. Bewegung macht uns körperlich und auch psychisch stark. Das Gehirn wird besser durchblutet und leistungsfähiger. Dazu werden verschiedene Botenstoffe ausgeschüttet, wie das Glückshormon Endorphin und viele weitere, was sich unter anderem positiv auf die Steuerung des Schlaf-Wach-Rhythmus und Emotionen auswirkt. Gleichzeitig werden Stresshormone wie Kortisol und Adrenalin abgebaut. Studien zeigen, dass regelmäßige körperliche Aktivität Depressionen, Angststörungen und sogar Demenzerkrankungen entgegenwirkt sowie das Selbstwertgefühl, das Selbstbewusstsein und die Selbstwirksamkeit verbessert.
Erholungsfunktion des Waldes
In Deutschland gibt es eine jahrhundertealte Verbundenheit zum Wald und den deutschen Mittelgebirgen, die bis heute anhält. Studien zeigen, dass Bewegung in der Natur eine spürbare positive Wirkung auf die Seele hat. Generell gilt die Integration von Natur in den Alltag als effektives Mittel, um Körper und Seele gesund zu halten. Insbesondere im Wald findet der gestresste Mensch nach den Erkenntnissen vieler Expert:innen zu sich selbst. Sowohl Wanderer als auch Radfahrende und Mountainbiker:innen suchen gezielt die Natur und den Wald. Nach den Erkenntnissen des Mountainbike Tourismusforum Deutschland stehen bei Mountainbiker:innen die Motivationen «Natur erleben» (93 Prozent), «mich bewegen und aktiv sein» (92 Prozent) und «den Alltag hinter mir lassen» (81 Prozent), ganz oben auf der Liste.   

Hierbei steht beim Mountainbiken insbesondere die Naherholung im Vordergrund. So finden laut DIMB über Dreiviertel der Touren im Naherholungsbereich statt. Die Anreise erfolgt umweltfreundlich und klimaneutral, direkt mit dem Rad.

Für über 90 Prozent gehört zum Mountainbiken das Befahren von sogenannten «Singletrails». Dazu werden überwiegend die bereits vorhanden naturbelassene Wege genutzt. Um Ballungsräume besteht teilweise der Bedarf nach eigens gebauten MTB-Strecken. Hier engagieren sich Mountainbikevereine seit Jahren, um solche Strecken, in Abstimmung mit Eigentümer:innen und Naturschutz, als zusätzliches Angebot anzulegen.
Transformation der touristischen Angebote in Mittelgebirgen notwendig
Mittelgebirgsregionen werden als Lebens-, Wirtschafts- und Kulturraum vielfach unterschätzt – auch im Tourismus. Dabei verbringen jedes Jahr mehr Bundesbürger ihren Urlaub in den deutschen Mittelgebirgs-Ferienregionen als in Frankreich, Spanien und Italien zusammen und generieren so rund 120 Millionen Gästeübernachtungen, so der Bundesverband Deutsche Mittelgebirge. Etwa 40 Prozent aller Übernachtungen abseits des Städtetourismus in Deutschland entfallen auf die Mittelgebirge und damit mehr als doppelt so viele wie Nord- und Ostsee zusammen (19 Prozent) und viermal mehr als die Alpen-Destinationen (9 Prozent).
Mit Blick auf das Bundeswaldgesetz kommt den Regionen mit Höhen von 300 bis 1.500 Metern eine besondere Rolle zu, denn sie haben auch den höchsten Waldanteil im Bundesgebiet. Gleichzeitig stehen die Mittelgebirgsregionen vor enormen Herausforderungen. Der Klimawandel und seine Folgen machen ein Neudenken und eine Transformation der touristischen Angebote notwendig. Mittelfristig hat der besonders umsatzstarke Skitourismus nach Meinung von Klimaexpert:innen in deutschen Mittelgebirgen trotz energieintensiver Hightech-Anlagen zur Beschneiung nur geringe Zukunftschancen. Expert:innen betonen deshalb immer wieder die Notwendigkeit zur Transformation der Mittelgebirgsregionen und neuen touristischen Angeboten als Ergänzung oder Ersatz zum Skitourismus. Gleichzeitig gibt es eine große Offenheit bei den Tourist:innen für alternative Angebote. Gerade die Kombination aus Wandern und Radfahren bzw. Mountainbiken steht hier sehr hoch im Kurs. Neuorientierung und Transformation des Tourismus können allerdings nur gelingen, wenn die Waldgebiete weiterhin offen und für jedermann zugänglich bleiben.



Quelle: Bike Nature Movement (BNM), Januar 2024